Heute möchte ich den Begriff Social Commerce einmal näher diskutieren, da es in den letzten Jahren viele Definitionsversuche und Diskussionen in Wissenschaft, Praxis und der Blogosphere (z.B. hier und im Rahmen der damals von mir intensiv verfolgten Diskussion dazu auch hier sowie sehr schön mit Bezug zum Kaufprozess hier) gegeben hat, aber – wer hätte es gedacht 😉 – ohne dass dabei eine allgemeinhin anerkannte Social Commerce-Definition herausgesprungen ist.
Aber: im Rahmen meiner im Sept. 2012 publizierten Dissertation zu Social Shopping sowie weiteren Publikationen (u.a. Holsing, C./Schäfers, B. 2010: Social Commerce vor dem Hintergrund des Multichannel-Retailing) habe ich den Begriff Social Commerce ausführlich diskutiert, um so den aktuellen Stand der Diskussion darzulegen. Einige der folgenden Ausführungen und Gedanken stammen dementsprechend aus diesen Schriften.
Die Entwicklung des Social Commerce geht einher mit dem Aufkommen der Sozialen Medien (vgl. Olbrich/Holsing 2011b, S. 314 ff.). Der Begriff ‚Social Commerce‘ wurde Ende 2005 von Rubel im Rahmen seiner Trendvorschau für das Jahr 2006 geprägt. Seine Definition von Social Commerce lautet: „Creating places where people can collaborate online, get advice from trusted individuals, find goods and services and then purchase them.“.
Im Folgenden möchte ich meine Sicht auf den Begriff Social Commerce nun näher darlegen: Social Commerce steht generell für eine Ausprägung des E-Commerce, in deren Rahmen Konsumenten in den Marketingprozess involviert sind und z. B. als Entwickler, Berater und Verkäufer von Waren und digitalen Gütern auftreten (vgl. z. B. Richter/Koch/Krisch 2007, S. 14 ff.; Bächle 2008, S. 130; IBM 2009, S. 2 ff.; Stephen/Toubia 2010, S. 215). Somit wird die klassische Rollenverteilung der beteiligten Akteure (Konsumenten, Mediatoren, Unternehmen) neu definiert (vgl. z. B. Richter/Koch/Krisch 2007, S. 5). Die zwischenmenschlichen Beziehungen und Interaktionen vor, während und nach einer Transaktion stehen im Mittelpunkt und ergänzen E-Commerce um die Kooperations- und Kommunikationsebene (vgl. Richter/Koch/Krisch 2007, S. 5).
Eine Vielzahl neuer Social-Commerce-Geschäftsmodelle konzentriert sich bereits auf zentrale Charakteristika des Web 2.0, z. B. auf Interaktivität und Dezentralität, und bindet Konsumenten in die Ausgestaltung des Geschäftsmodells ein. Die Nutzerzahlen entsprechender Plattformen steigen rasant, und etliche ‚Start-Ups‘ sind mit nicht unerheblichem Wagniskapital ausgestattet.
Social Commerce kann dabei in Sozialen Medien oder auf unternehmenseigenen Websites eingesetzt und u. a. in den Herstellungs-, Kauf- oder Nachkaufprozess integriert werden. Eine weitere Kategorisierung und Beschreibung von Social Commerce-Geschäftsmodellen ist u. a. bei Holsing/Schäfers 2010b, S. 258 ff. zu finden Der Konsument lässt sich durch neue Technologien, Applikationen oder Funktionalitäten direkt in diese Prozesse einbinden.
Im Rahmen des Herstellungsprozesses kann ein Unternehmen z. B. Konsumenten am Innovationsprozess beteiligen. Bekannte Beispiele sind u. a. InnoCentive und Tchibo Ideas. Bei Tchibo Ideas werden der Community Aufgaben zur Bewältigung von Alltagsproblemen gestellt, die gemeinsam gelöst werden. Die Community stimmt über die besten Produktideen ab, die dann Einzug in das Sortiment von Tchibo erhalten. Darüber hinaus bieten einige Plattformen die Möglichkeit zur personalisierten Produktgestaltung, z. B. die Gestaltung von T-Shirts bei Spreadshirt.
Der Kaufprozess kann vielfältig durch Social Commerce beeinflusst werden. Nutzergenerierte Produktbewertungen stellen eine verbreitete und relevante Informationsquelle dar und können dem Social Commerce zugerechnet werden. Bewertungen spielen eine zunehmende Relevanz beim Kauf, da neben den Empfehlungen von Bekannten (90 Prozent) Kundenbewertungen im Internet (70 Prozent) im Zuge der Kaufentscheidung das höchste Vertrauen entgegengebracht werden (Nielsen 2009). Beim Kauf spielt zudem der Preis eine wesentliche Rolle. Das ‚menschliche‘ Pendant zu Preisvergleichsdiensten stellen ‚Social Bargain Hunting Communities‘ dar. Auf derartigen Plattformen suchen die Mitglieder nach dem günstigsten Preis für Produkte und agieren quasi als ‚menschliche Preissuchmaschine‘. Auf shop-zentrierten Marktplätzen können Privatpersonen zudem als Verkäufer mit einem eigenen Online-Shop auftreten und selbsthergestellte oder fremde Produkte anbieten.
In der Nachkaufphase unterstützen sich Konsumenten z. B. durch Ratgeberdienste bzw. Verbraucherplattformen, u. a. Ciao und Productwiki. Diese berücksichtigen in erster Linie produktorientierte Informationstransfers von Kunde zu Kunde. Jeder registrierte Nutzer kann Kommentare und Bewertungen abgeben und so andere Nutzer beraten.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass es enorm schwierig ist, einen Begriff wie Social Commerce ‚kurz und knackig‘ zu definieren. Durch meine (leider nicht kurze) Diskussion hoffe ich aber, einen hilfreichen Überblick gegeben zu haben.
Ebenso schwierig gestaltet es sich mE, die Begriffe Social Commerce und Social Shopping voneinander abzugrenzen! Doch dazu demnächst mehr von mir… oder aber auch jetzt von Dir in den Kommentaren!